Meine Oma war schon recht alt als wir sie besuchten. Eigentlich war sie schon immer recht alt. Und sie war sehr krank. Sie war bettlägerig und inkontinent. Sie aß und trank nur noch das Nötigste. Ihre Demenz war schon sehr weit fortgeschritten. Zudem wurde sie auch noch blind. Meine Tante pflegte sie jahrelang sehr liebvoll.
Es war eigentlich ein Pflichtbesuch, denn es gehörte sich ein Neugeborenes der Familie zu zeigen. Nun war unsere Tochter schon ein halbes Jahr alt und wir waren mal wieder in der Heimat. Nachdem meine Tante unsere Tochter ausgiebig bewundert hatte, gingen wir zu meiner Oma. Ich stand etwas verlegen an ihrem Bett. In die Stille sprach ich Floskeln. Etwas unsicher legte ich unsere Tochter zu den Füßen meiner Oma ins Bett. Sie krabbelte los. Es war nicht ganz einfach für sie, aber sie war schon immer sehr agil. Als meine Tochter in die Nähe der Hände meiner Oma gelangte, tastete meine Oma sie ab und fühlte ihr Gesicht und sagte: „Kiek ehm, wat´n fein warm Minschke.“ Mir schossen Tränen ins Gesicht und sie hatte recht damit. Meine schwerkranke Oma hatte ein Gespür für das Leben.
Kurze Zeit später starb sie, doch dieser Satz lebt weiter. Das ist jetzt schon über 20 Jahre her.