Rasenmähen als tätige Nächstenliebe

Wir möchten davon erzählen, weil es sich um für uns sehr berührende Geschehnisse handelt, die wir, obwohl schon einige Zeit zurückliegend, immer wieder als Sternstunden empfinden. Die Hauptpersonen in dieser Geschichte sind zum einen unser Nachbar Hermann, ein ruhiger, immer hilfsbereiter Mensch, zum anderen Hendrik. Hendrik ist 15 Jahre alt und leidet von Geburt an an körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. Hendrik hat, wie wir finden, ein bemerkenswertes Steckenpferd: Motorrasenmäher! Hendrik kennt -so wurde uns berichtet- sämtliche in Deutschland angebotenen Motorrasenmäherfabrikate. Elektrisch betriebenen Geräten begegnet er mit Verachtung. Warum das so ist und nicht anders, ist sein Geheimnis und wird es auch wohl bleiben. Hendrik besuchte eine Förderschule in Stade und dort eine Klasse, in der unser Sohn Klassenlehrer war.

Im Sommer 2019 nun, haben Hendrikˋs Klasse und eine weitere Klasse dieser Schule eine Klassenfahrt nach Ihlow unternommen, untergebracht im Haus des Gastes am Ihler Meer. Meine Frau und ich waren uns schnell einig, wenn unser Sohn mit seinen Schülern bei uns in der Nähe weilt, werden wir Schüler und Betreuer zum Grillen in unseren Garten einladen. Gesagt – getan. Und immer, wenn bei uns mehr als 5 Personen „begrillt“ werden müssen, kommt „Grilltalent“ Nachbar Hermann ins Spiel -natürlich nicht nur dann, aber auch dann, so auch dieses Mal. Nun war der Tag gekommen, ein herrlicher Sommertag, die Jugenlichen und ihre Betreuer waren wohlbehalten bei uns angekommen. Nach der Begrüssung gab es erste Getränke und dann wuselte alles durch unseren Garten. Nachbar Hermann grillte eine erste Wurst. Wir standen neben ihm am Grill und beobachteten das bunte Treiben, noch immer etwas nervös. Hatten wir alles bedacht, konnten die Gäste sich bei uns wohlfühlen; denn im Umgang mit Jugendlichen mit Beeinträchtigungen sind wir nicht sehr geübt.

Wir bemerkten, das Hendrik und unser Sohn zusammen standen und sich unterhielten. Nun es es so, dass man Hendrik nur schwer verstehen kann und so vernahmen wir die etwas erstaunt klingenden Antworten unseres Sohnes: „Einen Motorrasenmäher? – nein,“ und weiter „ja, der vielleicht schon“ und dann „Am besten du fragst ihn selber“. Wir bemerkten, wie Hendrik sich etwas zögerlich auf uns zu bewegte. Vor Nachbar Hermann blieb er stehen, wartete bis dieser den Blick vom Grill hob, dann fragte er: „Was hast du für einen Motorrasenmäher?“ Nachbar Hermann nannte ihm etwas irritiert das Fabrikat und Hendrik fragte weiter: „Kannst du mir einmal deinen Rasenmäher zeigen?“ und dann: „Darf ich einmal bei dir Rasen mähen?“ Und unser Nachbar Hermann? Der drückte mir spontan die Grillzaange in die Hand und sagte nur“Komm mit“. Er nahm sich auch nicht eine Sekunde Zeit, um über Ausflüchte nachzudenken, wie “ Du siehst, ich muss die Würstchen zu Ende grillen, deine Mitschüler warten schon“ oder „können wir das nicht nach dem Grillen machen, dann haben wir mehr Zeit“, in der Hoffnung, Hendrik möge sein Ansinnen vergessen oder „das muss nicht sein, ich habe erst gestern den Rasen gemäht“. Nein, alles das sagte er nicht, er sagte nur ein einfaches „Komm mit“. So zogen die beide los, Nachbar Hermann voran, einen erwartungsfrohen Hendrik im Schlepptau. Minuten später hörte man vom Nachbargrundstück das Geräusch eines Motorrasenmähers, immer wieder übertönt von Hendrikˋs lautem, fröhlichem, wir waren uns sicher, glücklichem Lachen. Nach 20 Minuten waren sie zurück. Nun könnte man denken, was ist an dieser vielleicht etwas rührselig anmutenden Geschichte so beeindruckend? Für uns war es Hendrikˋs riesige aufrichtige Freude, die er allen zeigte und an der er alle teilhaben lassen wollte. Immer wieder erzählte er -völlig aufgekratzt- auf seine Art von dem Erlebten. Uns drängte sich der Gedanke auf, wann eigentlich haben wir in letzter Zeit einen Jugendlichen getroffen, der sich so aufrichtig und ehrlich gefreut und dieses auch gezeigt hat. Uns ist niemand eingefallen, womöglich kein Wunder in einer Gesellschaft, in der „Coolsein“ einen hohen Stellenwert besitzt. Beeindruckt und berührt hat uns auch das spontane „Komm mit“ unseres Nachbarn Hermann, der nicht wissen konnte was ihn erwartete und dem in diesen Momenten wahrscheinlich nicht bewusst geworden ist, dass ein spontanes , 20minütiges Rasenmähen mit diesem 15 jährigen Jugendlichen tätige Nächstenliebe ist.