Mit der Cap Anamur in die Freiheit

Denke ich über besondere Sternstunden in meinem Leben nach, erlebe ich diese als Gruppenleiter bei den Auricher WfbM (Werkstätten für behinderte Menschen) fast täglich. Den Schützlingen die Vielfältigkeit ihrer Möglichkeiten zu vermitteln und deren Dankbarkeit dafür zu bekommen, ist eigentlich der größte Lohn meiner Arbeit.
Dabei bin ich es, der sehr dankbar ist!
Bald ist es nunmehr 38 Jahre her, als sich mein Leben total veränderte. Meine Heimat ist Vietnam. Ein Küstenstaat direkt am chinesischen Meer, einladend das satte Grün seiner ausgeprägten Landschaft. Es gab allerdings Zeiten, da erschien dieses völlig unwichtig, denn von 1979 bis 1989 herrschte Krieg zwischen Vietnam und der roten Khmer. (kambodschanische Widerstandsbewegung) und folglich daraus resultierte sich eine riesige Flüchtlingswelle, die den beschwerlichen Fluchtweg über das chinesische Meer wählte.
Auch mein Vater beschloss, mich ausser Landes bringen zu lassen, vor allem aus Schutz vor dem anstehenden, pflichtgemäßen Wehrdienst. Ich war 14 Jahre alt und hatte bis zu dem Zeitpunkt absolut keine Ahnung, was mich erwartete. Wehrdienst, oder als Alternative die Flucht? Letzteres wurde entschieden und so begannen die Vorbereitungen. Diese musste sehr gut geplant sein, die Flucht war natürlich illegal und um den Gesetzeshütern nicht ins Netz zu gehen, galt es, die Planung erfolgreich umzusetzen. Eine Flucht galt nämlich als Landesverrat und daraufhin wäre diese schwer bestraft worden.
Trotzdem traten wir die lange und gefährliche Reise über das offene Meer an. Zusammen mit 65 anderen Menschen hockte ich nun in absolut beengter Situation auf einem Holzboot, knapp 12 m lang und 2,5 m breit. Es war Nacht, als wir starteten. Zwischen dem Plätschern des Wassers und dem leisen Gemurmel der Anwesenden war es für mich eine unheimliche Situation. Dann brach der Tag an, die Sicht wurde wieder klarer und wir hofften natürlich auf ein Rettungsboot, welches uns aufnehmen würde. So harrten wir zwei Tage und Nächte aus, unter schlimmsten hygienischen Umständen, die sich sicherlich jeder vorstellen kann. Wir schafften es! Die Cap Anamur II entdeckte uns auf ihrer stetigen Patrouille durchs chinesische Meer und nahm uns an Bord. Viele der Holzboote schafften es leider nicht, entweder wurden sie von Piraten überfallen, oder kenterten auf offener See. Knapp die Hälfte der Hilfesuchenden aus Vietnam kamen damals auf ihrer Flucht ums Leben.
Anschließend wurden wir in ein philippinisches Flüchtlingslager gebracht, wo wir fünf Monate blieben. Im September 1986 wurde unserem Asylantrag hier in der Bundesrepublik stattgegeben und zeitnah trafen wir in Frankfurt ein. Danach ein kurzer Aufenthalt in der Aufnahmestation Friedland, bevor es in Richtung Norddeich ging.
Das Flüchtlingslager Nazareth war dann die Einrichtung, von wo aus für uns jüngeren und minderjährigen Vietnamesen ortsansässige Pflegefamilien per Zeitungsannonce gesucht wurden. Ich erfuhr mit meinen Pflegeeltern besonderes Glück, meine Pflegemutter ist Lehrerin und somit lernte ich schnell und fand mich ebenso mit allen nötigen Dingen zügig zurecht. Noch heute besteht ein inniger Kontakt zu meinen Pflegeeltern. Meine übrigen Angehörigen durften etwas später im Zuge der Familienzusammenführung ebenfalls einreisen.
Nach meiner Schulzeit erlernte ich den Beruf des Erziehers bei den WfbM und arbeite auch heute noch in der Einrichtung.
Mein Aufgabenfeld erstreckt sich über über die Betreuung und Pflege der dort arbeitenden Menschen.
Die Entscheidung, hier zu arbeiten, sowie in Aurich zu bleiben war richtig und wichtig! Die mir entgegen gebrachten Zuwendungen von Seiten meiner Mitmenschen im Laufe der letzten Jahre erfüllen mich mit Dankbarkeit und diese kann ich nun endlich zurück geben!
Sei es bei der Arbeit in der Einrichtung, oder bei meiner Familie. Das sind die wirklichen Sternstunden in unserem Leben!