Der Anfang meiner Sternstunde war Ende und Abschied zugleich. Unser erstes Kind Maximilian wurde im November 1987 geboren und starb einen Tag nach seiner Geburt. Darauf waren wir nicht vorbereitet, denn er schien kräftig und gesund zu sein, ein wunderschönes Neugeborenes. Kein Stern leuchtete uns. Wer Trauer erlebt hat, weiß, dass sie eine Reise in ein finsteres, unbekanntes und furchteinflößendes Land ist. Aber da waren Menschen, die uns begleitet haben, die das Unsagbare und Schwere mit uns trugen und sie waren wie kleine Lichter in der Nacht. Unsere Liebe zueinander war ein Stern, der im Dunkeln geleuchtet hat und auch, trotz aller Verzweiflung, unser Glaube und das Vertrauen, dass Gott bei uns ist.
Wir ließen uns Zeit, unseren Platz im Leben zu finden und auch Maximilian seinen Platz zu geben. Neun Jahre später waren wir wieder schwanger. Ich hatte mich in meinem Theologiestudium viel mit Seelsorge, mit Trauer und Tod und mit Begleitung trauernder Eltern beschäftigt. Damals noch ein ganz neues Thema.
In den Gesprächen während der neuen Schwangerschaft mit meinem Gynäkologen, Chefarzt der Gynäkologie am Auricher Kreiskrankenhaus, war natürlich auch Maximilians Tod immer wieder Thema. Er klagte, dass das Personal, wenn im Kreissaal das Schlimmste eintritt, nämlich der Tod rund um die Geburt, keine Begleitung und Ansprechpartner hätte und auch die Eltern nicht begleitet würden. Spontan sagte ich: Rufen Sie mich an, jederzeit. Und so kam ich zu einem Seelsorgeauftrag, den ich 10 Jahre lang ehrenamtlich ausführte. Oft war ich im Kreissaal, oft in Gesprächen mit Hebammen und Schwestern, die ihre Erlebnisse verarbeiten mussten. Wir hatten Fortbildungen, wie man trauernden Eltern und Familien begegnen kann. Immer wieder hatte ich lange Gespräche mit Trauernden, ermutigte Eltern, ihre verstorbenen Kinder anzusehen, machte kleine Abschiedsfeiern für die nächste Verwandtschaft im Kreissaal und bestattete in ganz Ostfriesland kleine Menschenkinder.
Wir stellten fest, dass es eine große Not für Eltern war, wenn das Kind unter der damals noch geltenden 500 Gramm-Grenze lag: Diese Kinder waren damals nicht bestattungspflichtig, sie galten nicht als Menschen und sollten „entsorgt“ werden – die Gesetze stammten noch aus der Nazi-Zeit, nie überarbeitet. Und so wurde ich politisch tätig, telefonierte mit Landtagsabgeordneten, mit Zuständigen, mit vielen Menschen, die sich nie Gedanken über das alles gemacht hatten und doch sehr einfühlsam und sensibel darauf eingingen. Wir benötigten eine Sondergenehmigung, die nicht bestattungspflichtigen Kinder zu sammeln und dann gemeinsam kremieren zu lassen, um sie in einer Urne beizusetzen. Das Krankenhaus ermöglichte vieles, übernahm Kosten, die Lamberti-Kirchengemeinde stellte ein großes Grab in der Kinderabteilung zur Verfügung und trug die Bestattungskosten für Leichenhalle und Grab und beteiligte sich an den Trauerfeiern, die wir in regelmäßigen Abständen durchführten. Es gab Rückmeldung aus ganz Ostfriesland, viele Kliniken riefen an, ob wir ihre Kinder mitbestatten könnten. Eltern, vor allem Mütter, deren Kinder nie bestattet worden sind, meldeten sich und baten, mit einbezogen zu werden und teilnehmen zu dürfen.
10 Jahre lang führte ich dieses Ehrenamt. Mittlerweile waren uns vier gesunde Geschwisterkinder von Maximilian geboren wurden. 2006 übergab ich die Arbeit an meine Kollegin, Silke Kampen. Sie hat dafür gesorgt, dass die Arbeit weitergeführt wird und vor allem ist es ihr gelungen, auf dem Wallinghausener Friedhof einen wunderschönen Sternenkinder-Garten mit Denkmal anzulegen. Viele helle Sterne sind aufgegangen seit dieser dunklen Nacht im November 1987 und ich hoffe, dass sie vielen im dunklen Tal der Trauer Hoffnung und Orientierung geben.