Eine Falle?

Leider muss ich gestehen, dass mir in Aurich bisher kein spirituelles Erlebnis widerfahren ist, außer einem : als meine Frau und ich Anfang der achtziger Jahre an einem verregneten Apriltag vom Wohnort meiner Schwiegereltern in Wilhelmshaven zu einem Kurzurlaub in die Niederlanden durch ein trübsinniges Aurich fuhren, sagte einer von uns beiden; „Hier möchte ich nicht einmal beerdigt werden“ . Zwanzig Jahre später sind wir nach Aurich gezogen und leben heute noch hier !
Deshalb greife ich auf ein Erlebnis in Afghanistan aus 2014 zurück. Die deutsche Bundesregierung baute damals in Taloqan im Nordosten Afghanistans in der Konfliktzone der Taliban ein Krankenhaus und ich sollte eine Telemedizin einrichten zur Unterstützung afghanischer Ärzte durch deutsche Kollegen . Ich wohnte mit zwei Fahrern und zwei Sicherheitskräften in einer kleinen Baracke mit einem Aufenthaltsraum, in dem Tag und Nacht ein Fernsehgerät lief mit Bollywood Schnulzen unterbrochen von aktuellen Nachrichten . Nur zu Gebetszeiten wurde das Gerät ausgestellt. Eines Abends stürmte ein bärtiger Afghane in den Raum, das Kind des Bauern läge mit Bauchkrämpfen auf in einem Gehöft übersetzte mein Fahrer ,ob der Hakim- er deutete auf mich- sie heilen könne, das Gehöft sei weit vor der Stadt , Die Gegend sei gefährlich gab unser Fahrer zu Bedenken . Es war selbstverständlich, dass ich Arzttasche packte und in das vor der Tür wartende Auto stieg . Im Auto saß ein unbekannter Fahrer und ich war auf der Hinterbank zwischen schweigsamen Afghanen eingeklemmt . Wir fuhren in nördlicher Richtung ins Gebirge. Die Straße wurde zur Schotterstrecke. Und dann zu einem ausgetrockneten Flussbett . die Nacht war sternenklar, die Lichter der Stadt verschwanden hinter den Hügeln. Dann tauchten Mauern um ein Gehöft auf. In einen Hof hockten einige bewaffnete Männer um ein offenes Feuer. Mein erster Gedanke : Ende einer Entführungsfalle !
Der afghanische Bauer führte mich ins Haus. In einem großen Raum wahrscheinlich Wohnraum und Scheune lag auf einer Bank eine wimmernde etwa 15 jährigen Patientin unter einem Haufen von Wolldecken. Vor ihr saß eine alte Frau der ihr die Hand streichelte und vor sich hin murmelte. Im Raum standen bärtige Männer und wenige Frauen in Burkas, die mich voller Misstrauen musterten. Der Hausherr verscheuchte sie mit einem kurzen Befehl. Die Untersuchung der Patientin gestaltete sich schwierig, nämlich die Patientin weigerte sich standhaft unter dem Deckenhaufen hervorzukriechen. So tastete ich unter dem strengen Blick der Großmutter den Bauch ab prüfte den Druckschmerz im Nierenlager und war froh, keine Blinddarmentzündung keine Nieren- und Blasenentzündung zu diagnostizieren zu müssen. Ich erinnerte mich an meine Großmutter, die in solchen Situationen uns Kinder einen heißen süßen Tee gegeben und feucht- heiße Tücher auf dem Bauch gelegt hatte. Die afghanische Großmutter half bei der Anwendung. Die Patientin beruhigte sich und schlief ein. Der Vater drückte mir die Hand lächelte kurz und brachte mich zum Wagen. Wieder saß ich zwischen meinen schweigsamen Wächtern. Wir fuhren durch das Flussbett über die Schotterpiste und dann tauchten die ersten Lichter der Stadt auf. Das Team erwartete mich
vor der Baracke: „Doktor wir haben das Fernsehgerät ausgeschaltet.“ „Du kannst zu Gott beten“ sagte mein Fahrer „Er hat Dich heute gerettet“ !