Ein Wunder

Ich hatte eingekauft und kam gerade heim. An der Laterne vor meinem Haus stand ein junges Paar mit Kinderwagen. Der Kleine im Wagen schrie. Die Mutter nahm ihn hoch und versuchte, den Säugling zu beruhigen. Hunger konnte er laut Mutter nicht haben. Sie hatte das achtwöchige Kind kurz zuvor gestillt.

Ich unterhielt mich kurz mit den Eltern, dann ging ich ins Haus. Kaum hatte ich meine Einkäufe abgesetzt, da klingelte es Sturm an der Haustür. Die junge Mutter stand aufgelöst mit ihrem Baby davor und sagte tränenstickt: „Mein Kind atmet nicht mehr.“

Ich griff das Baby, legte es mir bäuchlings auf den Arm und klopfte behutsam den Rücken. Das Kind machte einen tiefen Atemzug, dann kam nichts mehr. Aus der Nase tropfte Blut auf den Boden. Der Vater alarmierte den Rettungsdienst.

Ich legte das reglose Kind auf den Küchentisch und begann mit der Herzdruckmassage, unterstützt durch die Anleitung des Rettungssanitäters am Telefon. Der Vater übernahm die Mund-zu-Mund-Beatmung.

Schon nach kurzer Zeit spürte ich das Herz klopfen, aber sobald ich aufhörte zu massieren, stoppte auch das Herz wieder. So musste ich weitermachen bis der Notarzt eintraf und das dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Der Notarzt brauchte fast eine halbe Stunde, um das Kind so zu stabilisieren, dass es transportiert werden konnte.

In der Zwischenzeit saß ich mit den Eltern im Wohnzimmer. Wir zitterten und bangten gemeinsam um das Leben des Kindes. Der Rettungsdienst brachte den Säugling ins Krankenhaus. Die Eltern fuhren mit.

Ich blieb allein im Haus, das plötzlich furchtbar leer war, und meine einzige Sorge war, ob der Säugling es schaffen würde. Nachts konnte ich nicht schlafen.

Am nächsten Tag holten Bekannte der Eltern den Kinderwagen bei mir ab und berichteten, dass das Kind nach Oldenburg verlegt und ins künstliche Koma versetzt wurde.

Nach rund vier Wochen konnten die Eltern ihren Jungen geheilt nach Hause holen.

Weitere Wochen vergingen. Da besuchten die jungen Eltern mich – mit dabei ein munteres Kerlchen, in den Händen einen dicken Blumenstrauß und eine wunderschöne Karte.

Neben einem süßen Kinderfoto steht: „Wir können nicht in Worte fassen, wie unendlich dankbar wir sind, dass Sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren und so geistesgegenwärtig und ruhig unserem Kind das Leben gerettet haben. Als Kindern wird uns beigebracht, dass alle Superhelden viele Muskeln haben und Umhänge tragen. Wir durften erfahren, dass sie auch ganz plötzlich als eine liebevolle Omi in der Nachbarschaft erscheinen.“

Für mich ist es nach wie vor wie ein Wunder, und ich freue mich sehr darüber, dass dieses kleine Wesen, das dem Tod so nahe war, zu einem ganz normalen quicklebendigem Kind heranwächst.