Ich kam gerade aus einer schweren Begleitung aus dem Hospizhuus Leer. Normalerweise lasse ich bei der Übergabe alles Belastende dort. Doch an diesem Tag, schien etwas anders zu sein. Während meiner langen Fahrt nach Hause beschäftigte ich mich wohl doch gedanklich weiter mit ihr, sah Gemeinsamkeiten zu meinem jetzigen Arbeitsplatz und musste einsehen, dass nur ein Wechsel Abhilfe schaffen könnte und dann oh Schreck, wo kommt dieser Kreisverkehr so plötzlich her, hier fahre ich doch sonst nicht durch und war nun hellwach da, wie bin ich denn bloß gefahren? Ich wusste nicht wo ich mich befand, es war für mich eine total fremde Gegend. So begann ich zu beten, das mir der richtige Weg gezeigt wird und nahm spontan die 2. Ausfahrt aus dem Kreisverkehr. Die Straße verlief nun schlicht gerade aus. Aufmerksam befuhr ich sie nun nahm nach einer kurzen Entfernung, auf der rechten Seite ein großes Gebäude mit dunklem Klinker wahr, ein hinweisendes Schild vorm sprang mir spontan dabei in die Augen, der Name, er sollte bis zum Ende meiner Fahrt in meinem Kopf bleiben. Und oh Wunder, Problemlos kam ich zu Hause an. Ich konnte nur meinen Kopf schütteln, verstand gar nicht so richtig was mir geschehen war.
Zuerst eine Tasse Tee trinken, dann Google fragen, wo war ich eigentlich, wie bin ich dahin gekommen, und das Firmenschild nicht zu vergessen, das immer noch in meinem Kopf ist.
Das Firmenschild bekam von mir den Vorrang…. und ein „Oh“ kam aus meinem Mund und leuchtende Augen dazu. Ja, dort wollte ich mich bewerben, es klang so vielversprechend, so … ich konnte gar nicht so schnell denken wie meine Gefühle Purzelbaum schlugen. Schnell reifte mein Gedanke einer Bewerbung für dieses Haus in mir weiter, an wem schreibe ich? Der Internetauftritt gab nur zwei Geschäftsführer an. So unpersönlich an die „Geschäftsführer“ wollte ich mich nicht bewerben, schrieb beide persönlich benannt an.
Nachdem ich meine Bewerbung fertig geschrieben hatte, folgte mein nächster Gedankengang per Post hinschicken oder persönlich abgeben? Letzteres empfand ich besser, persönlicher.
Nachdem ich die Adresse in mein Navi einprogrammiert hatte fuhr ich los und sollte vor Ort eine Überraschung erleben. Es war nicht das Gebäude an der Straße, nein, es lag etwas Abseits über eine Nebenstraße erreichbar in einer Sackgasse gelegen. Und die nächste Überraschung für mich, welchen Eingang führt ins Gebäude? Ich stand auf dem Parkplatz vor einem riesigen Gebäude, das vom Bau aussah, als würde es die Arme einladend zur Umarmung ausstrecken. Nach kurzer Beobachtung sollte ich den Eingang jedoch finden und war im Inneren so überrascht, hier wollte ich bleiben, alt werden, so etwas schönes, warmes, ach so unbeschreibliches, hier möchte ich arbeiten, war mein erster Gedanke nachdem ich einen Briefkasten oder ähnliches für meine Bewerbung, suchte.
Wenige Tage später bekam ich eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Am Termin saß ich neben den zwei Geschäftsführern, der Pflegedienstleitung und der Pflegedienstleitung der ambulanten Pflege gegenüber. Nachdem ich wissenswertes erfahren hatte wurde mir die Frage gestellt, wie ich dazu gekommen bin, mich eben hier, zu bewerben. Ich erzählte von meiner Fahrt nach meiner Hospizbegleitung und meinem Schrecken im Kreisverkehr, dem Imposanten Gebäude an der Straße (es ist das Gebäude der Ambulanten Pflege) samt Namenszug auf dem Schild, das mir nicht aus dem Kopf gegangen ist.
Wir vereinbarten Probearbeiten sowohl im Früh- wie auch im Spätdienst. Nachtdienste sollte es regulär für mich nicht geben, nur wenn es sich unvermeidbar um Notfälle handeln würde.
Ich nutzte dazu meine freien Tage. Mein 1. Frühdienst: Nach der Morgenandacht und einem Gebet wurde ich einem Kollegen zugeteilt, der bekannt dafür ist, sein „Anhängsel“ schnell mal allein zu lassen. Ihm wurde entsprechend mitgeteilt die heutige Schicht mit mir durchzuführen, er möge auf seine Alleingänge am heutigen Tag, verzichten. Wir starteten gemeinsam in einem 2- Bettzimmer. Ich sollte NUR mitlaufen…nicht mein Ding und so fragte ich den Kollegen, ob ich nicht die andere Person waschen dürfte. Mit großen Augen sah er mich an – denn die junge Frau im Nachbarbett war an einer Magensonde angeschlossen. Ich hatte bereits erkannt, das die Nahrung fertig durchgelaufen war. Er telefonierte kurzerhand mit einer anderen Kollegin, auf deren Tour sich die junge Frau befand. Nachdem die Erlaubnis kam schaltete ich in den Modus Pflegeablauf um und nachdem wir beide mit unseren Bewohnerinnen fertig waren schickte er mich ein Stockwerk höher dort sollte ich einer anderen Kollegin helfen nur wo war mein Kollege geblieben? Ich fand weder den Ausgang zum Treppenhaus noch den Kollegen, dafür fand ich auf diesem Wohnbereich jede Menge Ansprechpartner die meine Hilfe benötigen konnten. Und irgendwann, wie aus dem nichts, stand mein Kollege vom frühen Morgen wieder neben mir. Meinte er sei sich mit dem Chef einig, mich sollte man festhalten, ich weiß was ich tue und so hätten auch die anderen auf den Stationen wo ich mich aufgehalten habe geurteilt. Die Schicht war so schnell um, es war weder hektisch noch langweilig. Ich fühlte mich am Schichtende umarmt getragen von Gotteshänden.
Wenige Tage später folgte der Spätdienst. Wie üblich ist am Nachmittag weniger Personal im Dienst. Heute war ein unruhiger, hektischer Tag. Die Pflegeleitung hatte alle Hände voll zu tun, kaum von einem Ort zurück rief bereits der nächste. Dazu ein unruhiger Mann, sterbend. Die Pflegeleitung hatte kaum Zeit für ihn und begann nun unruhig zu werden, sie zählte auf, was sie noch zu erledigen hatte. Ich strich ihr vorsichtig über den Rücken, meinte ganz entspannt zu ihr: „Ich bin Hospizbegleiterin, wenn du möchtest, setze ich mich zu ihm und rufe dich an wenn ich deine Hilfe benötige, denn offiziell bin ich ja gar nicht hier, stehe nicht im Dienstplan, dass dir jetzt das Personal ausgeht“ und mit einem Lächeln reichte ich ihr einen Becher Kaffee, da wir uns gerade im Bereich der Teeküche im Untergeschoss befanden. Sie trank einen Schluck und strahlte zurück: „Dich hat der Himmel geschickt“ und genauso machten wir es. Ich saß bis zum Schichtwechsel am Bett des Sterbenden, hielt seine Hand, las ihm aus der Bibel vor, betete, war einfach da, streichelte ihn wenn er ganz unruhig wurde, summte das Lied „So nimm denn meine Hände“, tat wie es sich für mich richtig anfühlte… es war so ruhig, so still im Zimmer, die 2. Person war bereits zu Beginn der Schicht in ein anderes Zimmer übergangsweise verlegt worden. Die Pflegeleitung bedankte sich ganz herzlich bei mir, selbst den Becher Kaffee ließ sie nicht unerwähnt, lobte mich in Gegenwart aller anderen beim Schichtwechsel, dass sie diese Schicht ohne mich heute nicht überstanden hätte.
Ungefähr eine Woche später war ich zum Gespräch in die Geschäftsführung eingeladen. Alle Beteiligten wie bei meinem Vorstellungsgespräch waren wieder vor Ort. Die beiden Geschäftsführer fragten mich, wie mir die Arbeit gefallen oder nicht gefallen hat. Mein Strahlendes Gesicht gab wohl schon die nötigen Antworten. Voll des Lobes durfte ich mir anhören was die Kollegen der jeweiligen Schichten in der Chefetage zu berichten hatten. Mein Mut, die junge Frau trotz Magensonde zu übernehmen. Der Kollege sei danach sofort zu ihnen gekommen und hätte Stolz berichtet, dass ich weiß was und wie ich es tue, meine Höflichkeit, meine Empathie, meine Ruhe die ich ausstrahle. Bloß festhalten, hätte dieser Kollege gemeint. Und dann im Spätdienst mein Einsatz, auch hier war die Kollegin sofort am nächsten zum Chef gelaufen hat vom Sterbenden berichtet, der noch in derselben Nacht friedlich eingeschlafen ist. Die Geschäftsführer, die Pflegedienstleitung, der Pflegedienstleiter, lobten meinen Einsatz und am Ende sprach der erste Geschäftsführer : „Wenn du möchtest, bist du eingestellt. Wo möchtest du arbeiten hier im Heim oder im Ambulanten Bereich?“ Ich entschied mich für die Heimpflege. Mein neuer Chef meinte zum Abschluss wie ich letztendlich zu ihnen geführt wurde: Gottes Wege sind unergründlich Jes. 55,9: „so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken“ dem konnte ich nur mit einem dicken „Danke“ nach oben schicken, gedanklich erwidern. Seit meinem Arbeitsbeginn hörte ich von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen Sätze wie: „Sie sind ein Geschenk Gottes, Sie hat der Himmel geschickt, Sie lieben Ihre Arbeit, Sie sind mit Leib und Seele in Ihrem Beruf dabei, können Sie nicht jeden Tag zu mir kommen, Sie sind so mitfühlend, denken mit und auch noch weiter“ und noch viele weitere ähnliche. Ja, ich kann meinem Chef nur zustimmen, Gottes Wege sind unergründlich, denn wenn er mich diesen Weg nach meiner schwierigen Hospizbegleitung nicht hätte fahren lassen, niemals hätte ich diesen wundervollen Ort, diesen Arbeitsplatz gefunden.